Leicht ist anders

Golf trifft auf Stabhochsprung

Von Thomas Weidinger

Geht es um Technik und Komplexität der Bewegungsabläufe, reiht sich der Golfsport Experten zufolge hinter Stabhochsprung in die Liste der schwierigsten Sportarten auf Platz 2. Wir wollten es genauer wissen und machten ein kleines Experiment.

1. Das Experiment

Der Mythos, dass Golf lediglich die „zweitschwierigste“ Sportart sei, soll in einem Feld-Experi­ment für immer ausgeräumt werden. Oder eben bestätigt. Nach je vier Trainingseinheiten wird die persönliche Bestleistung des Golfers im Stabhochsprung ermittelt sowie auf einer der anspruchsvollsten Par-5-Bahnen Österreichs (Loch 2 im GC Brunn am Gebirge) die „Platzreife“ des Zehnkämpfers getestet. Unser besonderer Dank gilt dem ÖLSZ Südstadt sowie dem GC Brunn am Gebirge, wo Club-Präsidentin Kwang Min Rhee persönlich den Flight begleitet und tief beeindruckt dem Neo-Golfer Distelberger spontan die „Ehrenmitgliedschaft“ verleiht. Wir nehmen mit Lukas Nemecz und Dominik Distelberger jeweils einen der besten heimischen Sportler aus den Bereichen Golf und Stabhochsprung (Zehnkampf). Weiters holen wir mit Max Baltl und Herwig Grünsteidl zwei der renommiertesten heimischen Trainer in ihrer Disziplin. Dann wird getauscht: Der Stabhochspringer erhält vier Stunden Golfunterricht und der Golfer darf sich unter fachkundiger Anleitung ebenso lange mit Stab, Latte und Matte auseinandersetzen.

2. Die Mitwirkenden

Die Athleten: Lukas Nemecz, geboren am 17. 8. 1989, wohnt in Graz. Neun­facher Staatsmeister (diverse Klassen), Sieger Nationale Offene 2007, 2. Platz beim European Nations Cup 2011 in Sotogrande Dominik Distelberger, geboren am 16. 3. 1990, wohnt in Purgstall (Bezirk Scheibbs, NÖ). Mehrfacher Staatsmeister (Weitsprung, Hürden), 2. Platz Youth Olympic Games, Novi Sad (SRB), 2007 Die Trainer: Max Baltl wohnt in Stattegg (Bezirk Graz-Umgebung, ST). Pro seit 1990, ehemaliger Nationaltrainer, seit 1993 Golfschule am Murhof. Herwig Grünsteidl wohnt in Wien. Aktiver von 1975 bis 1991. Seit 1987 staatlich geprüfter Trainer, Nationaltrainer Mehrkampf Die Mediziner: Dr. Bernhard E. Zwick, Orthopäde und Kinderorthopäde, Verbandsarzt des ÖGV, TPI Golf Medical Professional, Hcp –7,4 Dr. Robert Kocher, Chirurg und Unfallchirurg, Verbandsarzt des ÖGV, Hcp –3,2. Website: www.kocher-zwick.at

3. Die Analyse

Dr. Robert Kocher und Dr. Bernhard E. Zwick, zwei Koryphäen im Bereich der Sportmedizin mit Spezialgebiet Golf, untersuchen die Ath­leten auf ihre körperliche Verfasstheit und analysieren die individuellen Trainingsfortschritte sowie die persönlichen Erfahrungen der Sportler wie der Trainer.

Was zeichnet den Stabhochsprung und was den Golfschwung besonders aus?

Herwig Grünsteidl: Beim Stabhochsprung kommt es darauf an, möglichst viel Energie vom Stab auszunützen. Die Athleten müssen die Geschwindigkeit des Anlaufes (Anm. der Red: auf bis zu 45 Meter Steigerungslauf kommen Männer bis zu 9,5 m/s) auf den Stab bringen und sich dann wie ein Turner am Reck in die Luft katapultieren lassen.

Max Baltl: Auch beim Golfschwung kommt es darauf an, möglichst viel Energie vom Golfschläger auf den Golfball zu übertragen. Neben der Schlägerkopfgeschwindigkeit ist aber vor allem die Ballkontrolle von größter Wichtigkeit. Das erfordert im Golfsport vom Athleten größte Anpassungsfähigkeit, da sich die Situationen ständig durch Wind, Hanglage, Rough etc. ändern.

Bernhard Zwick: Beide Sportarten durchlaufen unterschied­liche, jeweils sehr komplexe Bewegungsabläufe. Beim Stabhochsprung: Anlauf, Einstich, Absprung, Eindringen, Aufrollen, Lattenüberquerung, Landung. Beim Golfschwung: Set up, Aufschwung, Abschwung, Impakt, Durchschwung.

Robert Kocher: Beide Sportarten werden mit großen Rotationsgeschwindigkeiten durchgeführt. Werden kleine Fehler in der kinematischen Sequenz (A. d. R.: Bewegungsablauf) gemacht, sind große Leistungseinbußen die Folge. Die Athleten beider Sport­arten müssen daher sehr „funktionell fit“ sein. Das heißt, beide Sportarten erfordern eine sehr breite allgemeine Fitnessaus­bildung, zum Beispiel Stabilisierung des Körperkerns, Mobilität der Schultern, gute Hand-Augen-Koordination, Gleichgewichtsempfinden etc.

Welche Rolle spielt das Material?

Robert: Das Material spielt in beiden Sportarten eine große Rolle. Ähnlich wie im Golf, wo man Driver für Abschläge, Wedges für Spezialschläge nimmt, werden beim Stabhochspringen je nach Anforderung und angepeilter Sprunghöhe verschiedene Stäbe mit unterschiedlicher Länge und Elastizität verwendet.

Bernhard: Die beiden Athleten wurden von zwei sehr erfahrenen und sensiblen Trainern unterrichtet. Interessant war es zu beobachten, wie behutsam die Athleten an die komplexen Bewegungen herangeführt wurden. Beide Trainer erhoben in ungezwungenen Gesprächen exakte Sportanamnesen und nützten individuelle Fähig- und Fertigkeiten geschickt aus. Herwig: Lukas ist ein exzellenter Skifahrer und guter Volleyballspieler, hat viel Mut und ist sehr beweglich.

Max: Dominik verfügt über ein breites Spektrum an Bewegungsmustern aus Weitsprung, Diskuswerfen etc. und ist enorm schnellkräftig. Zudem ist Dominik ein guter Ballsportler.

Robert: Beide Trainer nützten ihr eigenes breites sportliches Spektrum für Demonstrationen. Videoanalysen wurden auf beiden Seiten ebenso eingesetzt wie taktile Hilfen. Interessant waren die Feedback-Gespräche beider Trainer mit den Athleten. Fragen wie: „Was hast du gespürt?“ oder „Wie hat es sich angefühlt?“ etc. halfen beim behutsamen Aufbau neuer Bewegungs­abläufe. Immer wieder verwendeten sie bekannte Bewegungsmuster anderer Sportarten, um schneller neue Bewegungsabläufe zu vermitteln.

Wie beurteilen die Trainer das Training, wie habt ihr kommuniziert?

Herwig: Die Kommunikation mit Lukas war eigentlich recht leicht in Gang zu bringen, da er sehr interessiert und engagiert zu Werke ging. Zunächst gab’s einige Grundsätze über die Sicherheit im Stabhochsprung wie „zu Beginn nie zu hoch greifen“, „auf gar keinen Fall den Stab während des Sprungs ­loslassen“ etc. Dazu kamen einige G’schichteln über gemeinsame Bekannte aus dem Sport, aus meiner Erfahrung, und auch ich fragte Lukas immer wieder über verschiedene Dinge im Golf­sport aus.

Max: Nach dem Motto „Wer fragt, der führt!“ vertiefte ich mich in seine Person, schulischen und sportlichen Werdegang, Training und Technik seiner Sportarten. Mit Abwechslung versuchte ich, die Aufmerksamkeit hoch zu halten. Dazu kamen immer wieder neue Aufgabenstellungen mit Drills und Übungen zur besseren Körperwahrnehmung.

Was waren die größten Schwierigkeiten?

Dominik: Die genaue Technik des Schwunges und den Ball genau richtig zu treffen, sodass er gerade fliegt und nicht nach links oder rechts wegdriftet. Weiters die Entfernung abzuschätzen und die Kraft richtig einzuteilen.

Lukas: Das Schwierigste am Anfang war es, überhaupt eine Vorstellung davon zu bekommen, wie ich irgendwie mit einem Stab über eine gewisse Höhe springen soll! Beim Springen selbst war für mich das Timing schwierig – wann ich wo und wie welche Bewegung durchführen muss.

Robert: Beide Athleten sind gewohnt, Bewegungen exakt ­auszuführen. Sie verfügen daher über eine ausgeprägte Körperwahrnehmung. Die Mischung von Bewegungsanweisungen, ­Vorzeigen und Vergleichen hilft den Athleten rasch, Bewegungen zu erlernen.

Bernhard: Jeder lernt anders! Einer braucht mehr Erklärungen, der andere ist eher ein visueller Lerntyp. Mein Tipp: Man kann und sollte den Trainern ruhig seine Präferenzen mitteilen!

Und wenn nicht alles gleich funktioniert hat, was war dann?

Lukas: Zuerst habe ich für mich selber analysiert, was ich denke, dass ich falsch gemacht habe – und dies dann vom Trainer bestätigen oder korrigieren lassen. Wenn gar nichts mehr gegangen ist, habe ich mir eine Pause gegönnt und mich etwas abgelenkt, um dann wieder voll konzentriert und erholt weiterzuarbeiten.

Dominik: Ich versuchte einfach konzentriert zu bleiben und nicht gleich aufzugeben. Für mich persönlich war das die erste Golfstunde, und dadurch, dass der Trainer sehr gute und hilfreiche Anweisungen gegeben hat, hat es recht schnell funktioniert.

Robert: Die Erwartungshaltung spielt im Training eine sehr große Rolle! Mein Tipp: Realistische Selbsteinschätzung und Setzen von erreichbaren Zielen sind Voraussetzung für geringe Frustrationen im Training. Wichtig dabei: Offen mit dem Trainer die Zielsetzungen diskutieren.

Was hat euch motiviert, das Training konsequent durch­zuziehen?

Dominik: Mein Ziel war es, am Schluss, wo wir ein Loch gespielt haben, eine gute Figur zu machen, und deswegen hat mich das schon motiviert, beim Training aufmerksam zu sein.

Lukas: Allein schon Teil dieser außergewöhnlichen Story zu sein, war Motivation genug, um alles zu geben. Mit der Zeit kam natürlich der Ehrgeiz und vor allem die Freude dazu.

Euer Resümee als „externe Beobachter“?

Bernhard: Beide Athleten und ihre Trainer erlebten einen intensiven und sehr spannenden Tag. Der rege Gedanken- und Erfahrungsaustausch, das konzentrierte Training und der abschließende Demonstrations-Wettkampf war für die Aktiven durchaus anstrengend. Allen Anwesenden wurde klar, dass ein direkter ­Vergleich der ersten Lehr- und Lernerfahrungen im Stabhochsprung und im Golf kaum möglich ist. Vielmehr diente der Tag dem gegenseitigen Kennenlernen und führte zu einem hohen Maß an Respekt für die jeweils andere Sportart.

Robert: Es gab zwei sehr interessante und komplexe Sportarten zu bewundern und es war faszinierend zu sehen, wie schnell zwei Topsportler in kurzer Zeit schwierigste Bewegungsaufträge umsetzen konnten. Die Trainer leisteten hervorragende Arbeit und konnten bei ihren Schülern viel Interesse für eine neue Sportart wecken. Sowohl Dominik als auch Lukas sind überzeugt, dass sie den neuen Sport so bald als möglich wieder betreiben wollen. ­

Fazit: Es gibt keinen Verlierer, nur Gewinner!

Wir bedanken uns für die Zeit, die Strapazen und vor allem die Begeisterung, die ihr heute von frühmorgens bis zum Abend an den Tag gelegt habt!

Das Video zum Experiment gibt es unter www.golf-tv1.com (Suchbegriff: Stabhochsprung).

 

Dr. Robert Kocher (l.) ist Chirurg und Unfallchirurg sowie Verbandsarzt des ÖGV. Hcp 3,9.

Dr. Bernhard E. Zwick (r.) ist Orthopäde und Kinderorthopäde sowie Verbandsarzt des ÖGV und TPI Golf Medical Professional. Hcp 7,4.

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