Train the Trainer

Thomas Weidinger

Die ÖGV-Verbandsärzte Dr. Robert Kocher und Dr. Bernhard E. Zwick zeigen auf, wie ein Golf-Unternehmen die sportmedizinische Denkweise im Sport nachhaltig verändert hat.

In Zusammenarbeit mit den ÖGV-Verbandsärzten Dr. Robert Kocher und Dr. Bernhard E. Zwick

Mit der Entwicklung eines völlig neuen Betreuungskonzeptes hat die amerikanische Firma Acushnet (Mutter von Titleist und Footjoy) vor rund 15 Jahren die sportmedizinische Betrachtungsweise einer umfassenden Athletenbetreuung nachhaltig verändert. Was anfänglich wie eine Werbeaktion aussah, entpuppte sich als gut durchdachte, langfristig ausgelegte Strategie, um Sportlern zu helfen. Mittlerweile haben tausende Sportbetreuer aus verschiedenen Berufsgruppen – Trainer, Fitness-Betreuer, Physiotherapeuten, Ärzte, Biomechaniker – die Fortbildungsangebote des Titleist Performance Institutes (kurz TPI) wahrgenommen und konnten dadurch für ihre Sportler Vorteile im Training und in der Gesundheit schaffen.

 

Wie kann man sich vorstellen, dass eine Firma, die für die Herstellung von Golf-Ausrüstung bekannt ist, die Betreuung von Sportlern verbessert?

Kocher + Zwick: Die Firma Acushnet beauftragte ein kleines interdisziplinäres Team aus einem Golf-Trainer, einem Chiropraktiker und einem Fitness-Experten mit der Analyse der Ansprüche des Golfsports an den Bewegungsapparat und der Erstellung eines Konzepts zur Optimierung der Betreuung von Golf-Professionals – und das vor rund 15 Jahren, als Spezialisierung in der Betreuung noch kein Thema war. Nach kurzer Zeit entstand aus der primären Idee einer Betreuung der Spitze ein Denk-modell, das in allen Sportarten und vor allen Dingen in allen Leistungsgruppen Anwendung findet.

Ein „Schema F“ für alle Sportarten und Leistungsgruppen?!

Die Denkweise, wie man Menschen optimal betreut, ist in allen Berufs-gruppen sehr ähnlich. Es bedarf anfänglich einer exakten und gut nach-vollziehbaren Beurteilung der Ausgangssituation und der Analyse -gegebener individueller Potenziale zur Verbesserung. Die Umsetzung des auf den Sportler zugeschnittenen Trainingsprogramms erfolgt über einfach lebbare Trainingsprogramme, die von Teams zusammengestellt und begleitet werden. Diese Modelle und Programme kommen mittlerweile nicht nur im Golfsport, sondern auch in vielen weiteren Sportarten zur Anwendung.

Das heißt, der Golfsport war in der Fitness-Ausbildung die „Mutter aller Sportarten“?

Ja, wir betreuen mit diesem Modell nicht nur unsere sehr erfolgreichen Golf-Nationalteams, sondern haben das Programm auch bei der Akademie des SK Sturm Graz, beim Nordischen Ausbildungszentrum Eisenerz (NAZ) und beim Herren-Volleyball-Nationalteam standardmäßig eingeführt. -Zusätzlich betreuen wir sehr viele einzelne Athleten aus aktuell 17 verschiedenen Nationalteams unterschiedlichster Sportarten aus neun -verschiedenen Nationen. Hier reicht die Bandbreite vom Snowboarding bis zum Triathlon. Aber nicht nur Spitzensportler werden von uns nach diesem Konzept betreut, wir wenden das System bei fast allen unseren orthopädischen Patienten im Alter zwischen 6 und 94 (sic!) erfolgreich an.

Wurde zu dieser breiten Anwendung das Modell des Titleist Performance Institutes modifiziert?

Das TPI-System ist bereist sehr ausgefeilt und sieht die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen als wesentliches Element der Betreuung vor. Ergänzung fand das Modell durch die Integration weiterer für die jeweilige Sportart spezifischer Funktionstests und durch das Einbringen unserer Berufserfahrungen. Durch unser Engagement im Kinder- und -Jugendsport konnten wir Titleist bei der Anpassung im Juniorenbereich weltweit unterstützen. Dies zeigt die Offenheit von Titleist für Innova-tionen für den Benefit der Sportler. Auch dieses Jugendprogramm wurde anfänglich belächelt und kritisiert, mittlerweile wird es von hunderten Trainern weltweit gelebt. Zurzeit versuchen auch andere Sportartikel-hersteller mit guter Qualität dieses Konzept nachzubauen.

Was sind typische Merkmale des TPI-Programms?

Alle Körper haben den gleichen funktionellen Aufbau. So ist zum -Beispiel das Kniegelenk nur in einer Richtung gut beweglich – Beugung und Streckung. Für Rotationen ist das Kniegelenk nicht gebaut. Diese Dreh-bewegungen müssen in den darüberliegenden Hüftgelenken durchgeführt werden. Sind diese nicht ausreichend beweglich, werden Rotationen in den Kniegelenken verstärkt durchgeführt und es kommt zu Überlastungen und Verletzungen. Dies gilt für alle Sportler und Patienten.

Die funktionelle Denkweise steht also im Mittelpunkt der Untersuchungen. Und wie geht es dann für die Sportler und Patienten weiter?

Die funktionelle Denkweise hat unser Herangehen an jegliche Art von Muskel- und Gelenksbeschwerden total verändert und unsere Erfolge in der Behandlung deutlich verbessert und unsere Patienten sind länger fit.

Und ist die Betreuung dann auch wieder „Schema F“?

Im Gegenteil. Die Betreuung von Sportlern und Patienten erfolgt ausschließlich über maximal individualisierte Übungsgestaltung. Die Übungen sind fast immer sehr einfach durchzuführen und der Aufbau des Übungsprogramms über längere Zeit sieht funktionelle Entwicklung in kleinen Schritten vor – das bedeutet: Die Aufgaben im Training werden kontinuierlich komplexer. Der einfache Zugang und die Offenheit des Systems sind ein weiteres für uns sehr wichtiges Merkmal. Das Internet kann und wird zur Trainings-Steuerung eingesetzt und TPI stellt dazu multimediale Inhalte – Fotos und Videos – zur Verfügung.

Wie werden die interessierten Trainer und Therapeuten von Acushnet betreut?

Hier verfolgt das Titleist Performance Institute einen interessanten Weg. Es wird nur über fachliche Aspekte des Sports gesprochen und unter-richtet. Es wird keine Bewerbung der Golf-Produkte und/oder Verkaufsschulung durchgeführt. Vielmehr geht es der Firma um eine Verbesserung des Wissens ihrer Protagonisten. So werden auch in Österreich bei einem jährlichen Seminartag (in diesem Zusammenhang wurden auch die Fotos gemacht; Anm.) Golf-Trainer über neueste Erkenntnisse der Sportmedizin und über Produktentwicklungen, zum Beispiel neue Schuhformen, informiert.

Statt Produktschulungen geht es bei Acushnet also vielmehr um die Fortbildung für Trainer und Golfpros?

Auch wenn die neuesten Produkte von Titleist und Footjoy ausgestellt sind, geht es bei diesen -Seminaren nicht um die Entwicklung einer Verkaufsstrategie, sondern um die Weitergabe von Know-how, das einen direkten Mehrwert für den Hobby- und Breitensportler hat. Weltweit wird alle zwei Jahre der World Golf Fitness Summit organisiert, der Betreuern aus verschiedenen -Berufsgruppen die Möglichkeit bietet, sich auszutauschen und sich über aktuelle Entwicklungen zu informieren.

Man kann dieses Projekt also auch mit „Train the Trainer“ umschreiben?!

Richtig. Zusammenfassend kann man sagen, dass aus der ursprünglich belächelten und kritisierten Idee einer umfassenden Sportlerbetreuung mit einem entsprechenden Fortbildungsangebot für Betreuer, Trainer, Physiotherapeuten und Ärzte ein weltweit anerkanntes und bereits vielfach kopiertes System zum Vorteil aller Sportler und Patienten geschaffen wurde.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Dr. Robert Kocher (l.) ist Chirurg und Unfallchirurg sowie Verbandsarzt des ÖGV. Hcp 3,9.

Dr. Bernhard E. Zwick (r.) ist Orthopäde und Kinderorthopäde sowie Verbandsarzt des ÖGV und TPI Golf Medical Professional. Hcp 7,4.

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