Die Tour als Tortur

ÖGV

Nach einer erfolgreichen Dekade im Profigeschäft wird Martin Wiegele von einer komplizierten Hüftverletzung zurückgeworfen. Im Interview diagnostiziert er den Gesundheitszustand von European und Challenge Tour und gibt auch Einblicke in die Belastungen, die auf Körper und Geist der Athleten wirken.

Martin Wiegele weiß, wovon er spricht. Der Grazer, dem bereits 3 Siege auf der Challenge Tour sowie ein Sieg auf der European Tour gelangen, muss sich 2012 infolge einer angeborenen Fehlstellung Operationen an beiden Hüftgelenken unterziehen. Vor dem Hintergrund seiner persönlichen Gesundheitsgeschichte und dem erfahrenen Blick auf das Tour-Leben von Golf Professionals philosophiert der Ehemann einer Ernährungswissenschaftlerin über Gesundheitsbewusstsein im Wandel der Zeit, den hohen Stellenwert moderner Trainingsansätze und die richtige Ernährung für alle, die es ernst mit der eigenen Gesundheit meinen.

Golf.at: Wie „gesund“ sind Challenge Tour und European Tour, welchen Belastungen physischer und psychischer Natur ist man als Spieler ausgesetzt?

Martin Wiegele: Es gibt Belastungen beider Art, egal auf welcher Tour. Infolge einer angeborenen Fehlstellung hatte ich in meiner Zeit auf der European Tour Probleme mit den Hüften. In Kombination mit den sportlichen Belastungen, die auf meinen Körper wirken, wurde der Knorpel auf unnatürliche Art abgenützt; um weiterspielen zu können, waren Operationen unumgänglich. Die Belastungen durch den Golfsport wirken sich eher langfristig aus, und das auch nur auf jene Golfer, die ungleich mehr Bälle schlagen und Runden absolvieren als der durchschnittliche Freizeitgolfer. Selbst Tiger, einer der ersten Modellathleten im Golf, wurde bereits viermal am selben Knie und am Rücken operiert.

Die European Tour fordert die Psyche vor allem durch das hohe spielerische Level, prominente Mitspieler und den starken Konkurrenzdruck. Auf der Challenge Tour kann die finanzielle Unsicherheit zum mentalen Hindernis werden; die Preisgelder sind doch deutlich geringer als auf der übergeordneten European Tour. Tatsächlich wäre es aus finanzieller Sicht oft rentabler, den Cut nicht zu schaffen und früher abzureisen, als am Ende Letzter zu sein.

Wie verändert sich das individuelle Gesundheitsbewusstsein über die Jahre?

Wenn man schmerzfrei und unbeschwert Golfspielen kann, denkt man einfach nicht an mögliche Verletzungen. Mir war vor 10 Jahren sicher nicht bewusst, wie schwer sich mein Hüftproblem einmal auswirken kann. Als ich mit Anfang 30 Schmerzen und die Befunde der Ärzte vor mir hatte, war auch das Bewusstsein plötzlich da. Viele ältere Kollegen beklagen, dass es hie und da schon beim Aufstehen etwas zwickt. Dem Nachwuchs kann ich nur empfehlen, Fitness-technisch gut drauf zu sein und immer gut aufzuwärmen. Ich selbst hatte zwar immer Kraft trainiert, war aber beim Dehnen und Aufwärmen nachlässig. Das multipliziert sich, bis man mit 30, 35 dann nicht mehr so flexibel ist.

Hat sich diesbezüglich das Bewusstsein beim Nachwuchs verändert?

In den jungen Köpfen sind Methoden wie TPI [Körperfunktionstest und Trainingsplan, Anm.] o.ä. angekommen. Man hat durch die Analyse der Biomechanik des Golfschwunges erkannt, dass z.B. Schwungfehler mit fehlender muskulärer Flexibilität zusammenhängen können. Das Training muss also auch auf die individuellen körperlichen Voraussetzungen abgestimmt werden. Die Zusammenarbeit mit Experten und Ärzten, wie Zwick und Kocher beim ÖGV, ist eine Entwicklung in diesem Sinne und sehr wertvoll.

Bei Dir war es die Hüfte, bei Tiger Woods das Knie und der Rücken. Was ist der klassische Schwachpunkt am golfenden Körper?

Eindeutig der Rücken. Florian Prägant und Matthias Schwab sind ja die besten Beispiele im heimischen Lager. Hört man genau hin, lassen sich im Physiobus auf der Tour sicher 95 % der „Patienten“ am Rücken behandeln. Danach kommt wahrscheinlich die Hand, mit plötzlichen Sehnenscheidenentzündungen etc. Langwierige Muskuläre Probleme, wie sie eben am Rücken auftreten können, müssen langfristig und auch selbständig behandelt werden.

Welchen Gesundheits-Tipp würdest du jedem Golfer mit auf den Weg geben?

Wärmt Euch auf! Speziell im fortgeschrittenen Alter kann man sich sehr leicht verreißen und Wirbelprobleme herausfordern. Ich meine damit nicht Dehnen; das kommt nach der Runde. Vor dem Spiel gilt es aktiv zu mobilisieren.

Ist das Gesundheitsbewusstsein im Breitensport Golf ausreichend vorhanden, und welche Rolle nehmen dabei die Teaching Pros ein?

Das hat sich eindeutig gebessert. Früher hat man auch gesagt, dass Krafttraining eher kontraproduktiv sein. Das ist längst überholt, Konzepte wie TPI haben aufgezeigt, wie wichtig Flexibilität und Kraft für den Golfschwung sind. In der Tat aber wäre es sinnvoll, bei der Analyse der Spieler durch die Golflehrer nicht nur über misslungene Putts oder schlechte Drives, also technische Komponente, zu sprechen. Es wäre wichtig, auch den körperlichen Aspekt anzusprechen. Der Energieverlust, der die Konzentration beeinflusst, ist ein Beispiel. Ich mixe mir z.B. ein Getränk mit Spurenelementen und wichtigen Mikronährstoffen, damit mir am Ende der Runde nicht „die Kraft ausgeht“. Auf der Runde sind außerdem drei bis vier Bananen und gesunde Energieriegel Standard. Außerdem esse ich Cashew-Nüsse, die sehr viel Energie bei geringem Volumen speichern. Schlechte Energieträger wie Schokolade oder Schnitzelsemmeln wären da eher weniger ideal.

Du klingst, als hättest Du einen eigenen Ernährungsberater…

Meine Frau ist studierte Ernährungswissenschafterin; den hab ich also daheim [lacht]. Sie stellt mir zwar keinen Ernährungsplan zusammen, da der auf der Tour nur schwer zu beherzigen wäre. Eine ganze Gefolgschaft mit eigenem Koch können sich ja nur die wenigsten leisten. Ich esse in meinem Leben derzeit also zu 70% außerhalb von zuhause. Ich kann natürlich wählen, was ich zu mir nehme; auf die Zubereitung hat man aber meistens keinen Einfluss. Zuhause esse ich immer sehr gesund.

Und? Schmeckt’s?

Ja, sehr sogar. Früher hatte ich angenommen, dass „Gesundes“ eher fragwürdig schmeckt. Es kommt aber eindeutig auf die Zubereitung an, und in gewissen Mengen ist ja vieles sozusagen gesund und verträglich. Man muss also keineswegs auf alles verzichten. Ich trinke auch gerne ein Bier, einfach weil es mir schmeckt. Würde man den Alkohol wegnehmen, wäre Bier ja praktisch ein reichhaltiges Elektrolytgetränk. Bei Turnieren gilt selbstverständlich Alkoholverbot.

Vielen Dank für das Gespräch!

//

GL_Wiegele1310_240Martin Wiegele

  • Geboren am 11. Juli 1978 in Graz
  • Profi seit 2003
  • Verheiratet mit Claudia
  • Hobbies: AS Roma, Rockmusik, Fitness
  • Turniersiege: 1 x European Tour (2010), 3 x Challenge Tour

Nach erfolgreichen Jahren als Amateur und seinem Wechsel ins Profilager erobert er im Sturm die Rankings der Challenge Tour und muss sich 2004 bei seinem ersten European Tour Event, den BMW Russian Open, erst im Stechen Marcus Fraser geschlagen geben. Die nächsten drei Jahre sind durchwachsen, bevor er mit Hilfe ÖGV-Trainer Anders Forsbrand und Fred Jendelid Schwung und Selbstvertrauen zurückerlangt. Im August 2007 gelingt der erste große Turniersieg auf der Challenge Tour. Im November desselben Jahres gewinnt Wiegele das Tour School Final im spanischen San Roque Club und qualifiziert sich damit für die European Tour 2008. 2010 gewinnt er dort sein erstes Turnier. Nach Operationen an beiden Hüftgelenken 2012 kämpft er sich nun auf der Challenge Tour zurück.

2015 erreichte Martin Wiegele bei 16 Turnieren 8 mal den Cut und erspielte 14.140 Euro an Preisgeld. Sein bestes Ergebnis erzielte er zuletzt bei den Foshan Open, wo er den geteilten 12. Rang belegte. (7.394 Euro). Im aktuellen (4.11.2015) Ranking der Challenge Tour belegt er Platz 96. Damit blieb ihm die Teilnahme am Saison-Finale der besten 45, den „NBO Golf Classic Grand Final,“ leider verwehrt.

Aufwärmen, Belastung, Dehnen, Geist, Gesundheit, Hüften, Körper, perfect eagle, Professional, Reisen, TPI, Wiegele