Zeit für sich selbst
Die Arbeit nimmt einen großen Teil unserer Zeit in Anspruch. Und obwohl wir das als gegeben akzeptieren, nähern wir uns der Arbeitszeit über individuelle Zugänge. Während die einen ihren Dienst nach Vorschrift versehen und tagtäglich pünktlich den Arbeitsplatz verlassen, gehen andere erst, wenn gewisse Aufgaben erledigt sind. Hier soll es aber nicht um die Arbeitszeit gehen, sondern vielmehr um die Zeit davor und danach: die sogenannte Freizeit.
Ich hatte mit einer Ärztin zusammengearbeitet, die kurz vor dem Burnout stand. Ich musste sie regelrecht dazu zwingen, zumindest eine Stunde pro Woche für sich zu reservieren. Für sie war das tatsächlich eine immense Herausforderung: Als mehrfach belastete Ehefrau, Mutter, Hausfrau und Ärztin mit eigener Praxis hatte sie schon fast vergessen, wie es sich anfühlt, sich selbst etwas zu gönnen. Bemüht, ständig für alle anderen da zu sein, funktionierte sie nur mehr. Nach mehreren gescheiterten Anläufen gelang es uns schließlich, diese eine Stunde freizuhalten. Um diese Stunde so angenehm als möglich zu gestalten, entschied sie sich, ein feines Bad nehmen zu wollen. Ich empfahl ihr, sich dem zukünftigen Ritual mit VAKOG anzunähern. Die Abkürzung steht für Visuell = Sehen, Auditiv = Hören, Kinästhetisch = Fühlen, Olfaktorisch = Riechen und Gustatorisch = Schmecken.
Sie schaffte es, sich von allem Störenden abzuschotten und einen annehmlichen Rahmen mit Kerzen zu gestalten (V), angenehm ins Ohr gehende Musik einzuschalten (A), einen besonderen, gut auf der Haut spürbaren Badezusatz mit viel Schaum (K) und einen gut duftenden Badezusatz (O) zu verwenden. Ein oder zwei Lachsbrötchen würden dem Ganzen die geschmackliche Abrundung verpassen (G). Die ersten Male hielt sich der Entspannungseffekt noch in Grenzen, zu vieles schwirrte noch im Kopf, der es nicht anders gewohnt war, herum. Nach wenigen Wochen aber stellte sich ein Gewöhnungseffekt ein und die Ärztin konnte sich endlich in das persönliche Erlebnis fallen lassen. Sie freute sich schon Tage zuvor auf ihre Stunde und sprach danach noch tagelang davon, wie gut es ihr in diesen 60 Minuten ergangen war und wie viel an positiver Energie sie in die nächste Zeit mitnehmen konnte. Der Lerneffekt war ein voller Erfolg, inzwischen findet sie Platz für drei Stunden Eigenzeit pro Woche, und das ohne schlechtes Gewissen. Die Ärztin, Mutter und Ehefrau konnte ihre Fähigkeit zur Stressresistenz ausbauen und das drohende Burnout noch rechtzeitig abwenden.
Ein gewisses Maß an Eigenzeit ist entscheidend, um persönliche Bedürfnisse befriedigen zu können. Denn nur wenn ich mich selbst wohlfühle, wird es auch den Menschen in meinem Umfeld gut gehen. Lebe ich nur für die anderen, wird mir schon bald die Kraft ausgehen, und ich werde auch anderen nicht mehr nützlich sein. Insofern hat ein wenig Eigenzeit auch nichts mit Egoismus zu tun: Im Sinne der Wertschätzung meiner Mitmenschen sollte ich versuchen, zuerst die eigenen Energiespeicher aufzuladen und die Kraft zu tanken, die es braucht, um Gutes zu tun.
ANLEITUNG ZUR EIGENZEIT
Es gibt Menschen, die, rein an der Zeit bemessen, über verhältnismäßig viele Stunden „Freizeit“ verfügen, damit aber nicht klarzukommen scheinen. Sie fühlen sich zu jeder Zeit ausgebrannt und leer. Vielleicht kennen Sie das ja: Termine für Sport und Bewegung, Termine für die Gesundheit,Termine der Kinder, Termine der Eltern. Und überhaupt die ganzen gesellschaftlichen Verpflichtungen. Alles unterliegt einer genauen Einteilung und lässt die Menschen auch in der Freizeit nicht zur Ruhe kommen. Was fehlt, ist eine bestimmte Art von Zeit, und zwar die Eigenzeit:
Zeit, die ich nur für mich nutze.
Zeit, die nur mir zur Verfügung steht.
Zeit, die ich nutze, um das zu tun, was ich alleine wirklich will.
Es geht in dieser Zeit nur um mich, um den tatsächlich wichtigsten Menschen in meinem Leben.
In dieser Zeit bestimme ich, was ich tue: Ich tue das, was mir guttut, was mich weiterbringt und mir hilft, meinen Stresslevel zu verarbeiten.
Es geht um mich.
Dr. Axel Mitterer ist Akademischer Mental-Coach für Business & Sport und lebt in Innsbruck.
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